Die zuletzt gehörte Platte auf
dem Plattenteller ist eine schöne
Momentaufnahme. Ein vertontes Polaroid. Beim Schuhzubinden kitzelt sie im
Nacken. Zu ihrem Rhythmus stolperst du die Treppenstufen hinunter, während du
das Haus verlässt. Ihr Tempo bestimmt dein Wippen an der U-Bahnhaltestelle. Klaus Nomi und ich hatten vor einigen Wochen
so ein musikalisches Tête á tête. Ähnlich guten Freunden, deren
Liebe so gewiss ist, dass regelmäßiges Melden überflüssig wird. Die sich in Ruhe
lassen, wenn es kriselt und sich beim nächsten Treffen trotzdem herzlich
warm umarmen als wäre nichts gewesen. Eine Weile waren wir beide ziemlich
beschäftig und haben uns aus den Augen verloren. Begeistert und vertraut haben wir uns
wieder gefunden.
Das selbstbetitelte Werk vom
Klaus Nomi fordert deine volle Aufmerksamkeit. Multitasking macht man besser zu Katy
Perry. Was hier kredenzt wird, ist ein schief geratenes Petit Four. Heulende
Synthesizer und ein menschliches Theremin. Die Dinge sind aus der Form geraten,
verzerrt, schräg, verwischt. Eine seltsame Athmosphäre. Alles schwarz, weiß, grau
und trotzdem ziemlich bunt. Der Klang ist eigen, sperrig und lebendig.
Nomi, ein ausgebildeter Kontertenor, mischt hier schwarzen Gesang mit dem, was spätere Generationen
Wave nennen werden. Die Stücke sind halb geborgt, halb DIY. Chubby Checker´s „The Twist“
bekommt hier einen siamesischen Zwilling. Nomi´s Musik ist stark durch
das Umfeld des Dada geprägt und reibt sich an bestehenden Strukturen und Konventioen. So stammen zwei der zehn Stücke aus der Feder von
Kristian Hoffman. Unter ihnen Nomi´s bekannteste Auskopplung „Total Eclipse“. Die
Themen sind altbekannt: Liebe, Zweifel, Kritik, Wut und vor allem Lust. „When I see lips bagging to be kissed, I can´t
stop, I can´t stop myself!”. Hier geht es aufrichtig zu. Überstilisierte
Musik droht häufig in Pathos abzugleiten. Volle Kontrolle zu jedem
Zeitpunkt ermöglicht es Nomi dem vorzubeugen. Er ist Subjekt und Objekt des
eigenen Schaffens. Charakter, Körper und Inszenierung werden gleicher Maßen zum
Malgrund. Die Musik scheint fast Beiprodukt des Gesamtkonzeptes. Schminke
im Stilmix aus traditionellen Kabukimasken und Cabaret, kombiniert mit
proportionsanormalen Kostümen, mit schmalen Taillen und gigantischen Schultern, unterstreichen diese Klangwelt und erinnern an Metropolis. 1981 erschienen,
mit deutlichen Einflüssen von David Bowie und neuen elektronischen
Möglichkeiten, hinterlässt Klaus Nomi hier ein beindruckendes Pop-Noir-Manifest.
Eine Collage seiner Einflüsse aus Oper, Film, Theater und Kunst und nicht
zuletzt eine gelungene Inszenierung seiner selbst. Audio-Auto-Biographie klingt phonetisch fürchterlich, trifft den Sachverhalt jedoch gut.
Szenenwechsel. Sonne scheint über
der Rheinaue. Der Tag wird für ein Wiedersehen mit Maks genutzt. Mit KS, mit x kann ja schließlich jeder. Das ist kein Zufall, das ist ein Lebensgefühl. Rasch
hochgestolpert ins Derendorfer Eigenheim, fällt der Blick neugierig auf den
Plattenspieler. Ein wahnsinns Schallplattencover lehnt im Hintergrund. Was eine Anmut, was für ein Arsch: die heilige
Grace Jones. Maks hört jedoch die Nightclubbing LP. Mehr brauch ich nicht um den mopsigen Mann zu mögen.
„Nightclubbing“, ebenfalls
1981 erschienen, zeigt Parallelen zur Arbeitsweise Nomi´s. Coverstücke
sind auch bei Grace keine Seltenheit. So stammt der Titeltrack des Album´s, „Nightclubbing“, aus der Feder von Iggy Pop und David Bowie. „Walking in the rain“ borgt sie sich
von Flash and the Pan. Die Interpretationen sind so eigen, dass das
Original komplett darin verwässert. Die Basis aus Pop- und Clubmusik schmückt
sie dabei immer wieder durch Reggae, Dub sowie Afro- und Latinbeatelemente. Selbst
ein verschrobener Tango findet sich in „I´ve seen that face before“. Der Gesang
bleibt, von der Klangkulisse unbeeindruckt, pur und unbemüht oder verlangsamt sich zum sinnlichen Sprechen. Während Nomi
überzeichnet und stilisiert, punktet Grace Jones Stimme mit Klarheit und
Statement. Vornehme Zurückhaltung. Sie ist außerirdisch und weiß Stärken und Charme gezielt
einzusetzen. Kunstwerk und Künstlerin fallen bei dieser Frau auf unerreichte
Weise zusammen (top 4 der besten Menschen der Welt). Jean Paul Goude hat sie zur Muse und zum Kunstwerk gleicher Maßen erkoren. Cover, Bühnenshow, Kostüme, Musik verbinden sich zu einem performativen Kunstwerk. Ob als Gorilla oder Menschenufo. Das ist Artpop erster Stunde. Jones erschafft ein Meta-Wesen, nicht Mann nicht Frau, Mensch durch
und durch und doch fast Übermensch, mit harten Gesichtszügen und perfekt gesetzter
Mimik. Jede Bewegung, jeder Blick ist hier Stellungnahme und Botschaft. Systemkritik,
demonstriert am eigenen Körper. Losgelöst von gesellschaftlichen Konventionen, ein Kind des eigenen Universums. Liebe und Inspiration aus vielen Welten, die Symbiose aus Goude und Jones. Was hippiesk klingt, ist Zeugnis eines starken
Bewusstseins. Die Modernität dieser Platte baut auf jahrtausendalten Rhythmen und
Weisheit. Auch 30 Jahre nach Erscheinen verblüffen hier Stimmigkeit, subtiler
Witz und Verständnis musikalischer Komplexität.
Während auf meinem Plattenspieler
Klaus Nomi auf den Rotationsbefehl wartet,
verschnauft bei Maks die fantastische Grace Jones. Die Ähnlichkeit der Covergestaltung verblüfft. Die Bilder zeigen beide in identischer Pose.
Überdimensionale Schultern, den Körper zum V verformt. Die Blicke unnahbar und
stark. Und während wir über Parallelen und Unterschiede debattieren, will ich
insgeheim wissen ob die in NY mal zusammen einen drauf gemacht haben. Bedeutet die Beteiligung von Bowie in
beiden Fällen etwas? Es gibt doch keine Zufälle...."Meine Eltern haben das bei ihrem ersten Date gehört." Noch ein Zug von der süßen Zigarette und wir schweben beide durch 1981.
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