Dienstag, 25. März 2014

Normal halt




Die Gedankengänge meines Hirns sind sehr simpel. So verleitet der Anblick interessanter Menschen mich stets zu der Überlegung, wie die wohl ohne ihren Schutzpanzer aus Frisur und Kleidung aussehen. Wirkt ihre Körperhaltung dann verzweifelt? Haben sie Achselhaare oder peinliche Tätowierungen, Narben an den Knien, Hornhaut an den Ellbogen? Leberflecken und Muttermale auf Brust und Armen? Wahrscheinlich will ich wissen wieviel Substanz sie selbst sind und wieviel Konstrukt und Maskerade. Substanzlosigkeit ist eine moderne Krankheit. Entsprechend viele Menschen lösen sich unter der Dusche in Luft auf. Ungeschminkt und nackt müsste man sie beim Auflösen beobachten können.
Seltsam gestaltet sich der umgekehrte Sachverhalt. Sehe ich Menschen nackt und schutzlos, stellt sich die Frage nach Kostümierung selten. Saunatage sind eine vorzügliche Gelegenheit für solche Mensch-Beobachtungen. Saunaanstalten scheinen Orte, die aus der Zeit gefallen sind. Hitze, Stille und ungeschriebene Regeln sorgen für ein Aktionstempo, das sich von der Außenumgebung deutlich unterscheidet. Alles ist Slomo. Ähnlich einer Marina Abramovic Performance ist die Hauptübung das Stillhalten. Aushalten. Atmen. Wer ist schon gut darin nichts zu tun? Genügend Zeit für Beobachtung. Und während alle schwitzen, kann ich gar nicht anders als mich unter die Gürtellinie zu begeben. 
Schamhaare sind ein Mysterium. Der Theorie nach gibt es sie als nostalgischen Wink vergangener Tage. Laut digitaler Medienwelt sind sie seit den späten 80er Jahren ausgestorben und in der freien Wildbahn nicht mehr anzutreffen. Der Schwitzkasten zeichnet ein anderes Bild. Nahezu überall wuchert es. Zwischen straffen, jungen und zwischen alten, braun-gefleckten Schenkeln. Die unterschiedlichsten Ausprägungen von Männern und Frauen geben ihnen eine Chance. Ich fühle mich belogen und bin verunsichert. Gehört das so? Was soll das da und vor allem: wozu dient es? Die Struktur dieser Haare ist besonders und eigen. Kraus und gebrochen schrauben sie sich in einander. Drahtig und widerspenstig wirken die. Das kann sich nicht gut anfühlen. Intensität und Ausmaß mancher dieser „Büsche“ sind unglaublich. Würde ich alle meine interne Energie und Konzentration ausschließlich auf das Ziel richten das Wachstum meiner Schambehaarung zu fördern, wäre so ein Resultat dennoch unmöglich. Warum tragen diese Menschen das? Sind die zu faul es wegzurasieren, zu selbstbewusst für den angeblichen Mainstream oder zu respektvoll Mutter Natur gegenüber? Im meinem Kopfkino verschwinden darin Gesichter und Köpfe. Finger mit viel zu kurzen Fingernägeln friemeln einzelne Haare von speichelfeuchten Zungen. Eine gruselige Vorstellung. Ich mag das nicht. Der Verdacht beschleicht mich, dass ich diesen Intimfrisuren mehr Zeiz schenke als ihre Besitzer. Was sie über diese aussagen, würde ich dennoch gerne wissen. Ich könnte fragen. Mach ich aber nicht...
Ein neuer Anlauf. Wie fügen sich diese Haare in das Gesamtbild? Und auch hier ist die Realität grotesk. Menschliche Puzzleteile, falsch zusammengesteckt. Perfekt geformte, straffe Brüste flirten mit mir. Halb gefüllte Hautsäcke winken mir zu. Geschmückt von winzigen, rosigen Brustwarzen oder großen braunen Orden. Gebaut sind diese zarten Gerüste mal auf einem soliden Fleischfundament aus Bein, mal auf storchigen Stelzen. Aufgebolzt auf stämmigen breiten Oberschenkeln, die ramponiert von Dellen und Striemen, ziemlich abgekämpft aussehen. Verlorene Kriege gegen Eiscreme und Butterkekse oder Zeugnis eiserner Disziplin und gesunden Yuppitums. Die Kleidergröße des Fundaments übertrumpft die des Oberkörpers oft um zwei Einheiten oder unterbietet sie um eine. Hier stimmt etwas nicht. Wer hat die ungleichen Paare zusammengefügt? Ein faltiges Ledergesicht krönt einen diesen Steckkörper. Geschätzte 65 Jahre Weisheit, Erfahrung und Schrecken blitzen daraus hervor. In anderen leuchten spitzbübisches Blau und Grün. Zeitlos. Und doch verblüfft die beruhigende Selbstverständlichkeit der idealfernen Gesamtbilder. Eine versöhnliche Harmonie ungleicher Teile entsteht. Diese Körper flüstern Vergebung. Schon ok. Und die gilt ebenso für die Schamhaardelikte.  Okaye Menschen also. Auch eine Erkenntnis nackter Mittwochabende…..

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